Geht doch!?

Christian Dezer: Geschichten des Gelingens als Erweiterung der Berichterstattung

„Bad news are good news“ und „Gute Nachrichten sind keine Nachrichten“, das galt lange Zeit im Journalismus und gilt auch heute noch in vielen Redaktionen. Genauso wie die Faustformel, die Gesellschaft würde besser, wenn Reporter nur aufzeigten, was alles falsch laufe und wer dafür verantwortlich zeichnet. Nach dieser Prämisse wurden und werden Nachrichten produziert, und das waren und sind die Grundlagen für investigative „Stories“.

 

Zu Recht, wie ich finde. Diese Rolle wurde dem Journalismus in die Wiege gelegt, die „vierte Gewalt“ als Korrektiv der Gesellschaft und der Herrschenden ist ein wichtiger Eckpfeiler unseres demokratischen Verständnisses. Doch vieles in globalisierten Zeiten befindet sich im Wandel. Und das betrifft natürlich auch die Medien, zumal ihnen in jüngster Zeit gerne eine Krise zugeschrieben wird und die Konkurrenz der sozialen Medien und der „Streaming-Dienste“ eine weitere große Herausforderung darstellt.

 

Das hat sicherlich dazu beigetragen, dass sich Journalisten zuletzt Gedanken gemacht haben und machen, wie man darauf reagieren kann. Ein Ansatz, der sich zunächst nur zaghaft, zuletzt aber schon markanter, in die Diskussion über die Berichterstattung geschlichen hat, ist der „konstruktive“ oder auch „lösungsorientierte“ Journalismus. Einige halten ihn für völlig überflüssig, andere dagegen sehen in ihm eine mögliche Perspektive, um Lesern, Zuhörern und Zuschauern eine andere Informationsebene aufzuzeigen.

 

Was hat es damit auf sich? Ist diese Art der Berichterstattung tatsächlich eine brauchbare Alternative oder Erweiterung für den Journalismus? Fragen, mit denen wir uns auch beim „Zweiten Deutschen Fernsehen“ auf dem Mainzer Lerchenberg, beschäftigt haben.

 

Damals im Frühjahr 2017 wurde eine neue Dokumentationsreihe geplant. Der endgültige Anstoß für die Entscheidung für den „konstruktiven Journalismus“ kam letztlich von den Zuschauern. Schon länger wussten wir aus Befragungen und aus der Medienforschung, dass unsere „Nutzer“ genug von der täglichen Überdosis an schlechten Nachrichten hatten und sich einen Gegenpol zu den „bad news“ wünschten. Bundesweite Umfragen zu Nachrichten bestätigten das. Eine große Mehrheit, darunter vor allem viele Junge, wünschten sich zwar die kritische, aber eben auch eine Berichterstattung, die andere Perspektiven, Alternativen und neue Wege benennen. 

 

Wie aber sollte so etwas aussehen? In Zeitungen, wie der New York Times oder dem Guardian gab es konstruktive Geschichten und zum Teil Rubriken. Online-Angebote, wie „perspektive daily“ oder „De Correspondent“ setzten ebenfalls auf diese Berichterstattung.

 

Im Fernsehen aber gab es damals kaum Vorbilder. Der dänische Rundfunk (DR) hatte unter seinem Chefredakteur Ulrik Haagerup, ein paar Jahre zuvor, die Hauptnachrichten mit dem konstruktiven Ansatz erfolgreich neu ausgerichtet.  Aber lange Formate mit konstruktiver Ausrichtung – Fehlanzeige.

Wie also könnte eine neue Doku-Reihe lösungsorientiert berichten?  Dabei geht es ja nicht darum schlechte Nachrichten einfach wegzulassen oder keine Kritik an Missständen mehr zu äußern.

Fest steht, dass unser Planet komplex ist. Jenseits von Krisen, Kriegen, Gemetzel und Katastrophen gibt es eine weite Welt der Antworten, der Verbesserungen, der Lösungen und vieler konstruktiver Ansätze. Ist es da nicht die journalistische Verantwortung und vielleicht sogar Pflicht, die unzähligen Geschichten des Gelingens zu erzählen? D. h. also nichts anderes als ein umfassenderes Bild zu liefern, komplexer zu berichten, nicht bei der Kritik stehen zu bleiben.

 

Wer sich intensiver mit konstruktiver Berichterstattung befasst, stößt auf grundlegende Fakten, die ein Umdenken mehr als nahelegen. Zahlreiche Untersuchungen über die neuro-, sozio- und psychologischen Effekte durch die Menge der schlechten Nachrichten sprechen von drastischen Auswirkungen für eine Gesellschaft oder für das Individuum.

Eine Tagespolitik als Geschichte des ständigen Versagens, die Darstellung der Handelnden und Akteure als pathologische Charaktere, können bei Rezipienten zur Frustration, Aggression und Hilflosigkeit führen. Nicht umsonst stellen viele Menschen die Frage: „Was kann ich als einzelner eigentlich noch ausrichten?“

 

Wenn sich Zuschauer unter diesen Eindrücken immer stärker von der Berichterstattung abwenden, aus der gesellschaftlichen Entwicklung „ausklinken“, hat das dramatische Folgen für eben diese Gesellschaft.

 

Abkehr und Ablehnung sind noch nicht einmal die schlimmste Reaktion. Neue und beunruhigende Phänomene treten plötzlich auf: „Quarterlife-Crisis“, heißt das, was Menschen mit Mitte 20 ereilt, weil sie der Zustand der Welt depressiv macht. „Climate Grief“ wird diagnostiziert, wenn die Klimakrise Angst und Depression verursacht. Psychologen stimmen überein, andauernde Negativmeldungen verstärken das Gefühl der Ohnmacht und der Hilflosigkeit.

 

Natürlich sind die Ursachen für gesellschaftliche Veränderungen vielfältig und sicher ist der Journalismus nur ein stückweit mitverantwortlich, an dieser Entwicklung. So findet nach Auffassung der beiden US-Journalisten, der Pulitzer Preisträgerin Tina Rosenberg und des Mitbegründers des „Solution Jornalism Network“ David Bornstein, „Journalismus immer eine Sprache, wenn es darum geht, Gefahren und Versagen zu beschreiben, meistens bleibt er aber stumm, die Gesellschaft wissen zu lassen, wo etwas gelungen ist.“

 

Sind das „Bangemacherparolen“ oder überzeugende Argumente für einen lösungsorientierten Journalismus? Ich finde, es sind eindringliche Fakten, die nachdenklich machen und uns Journalisten vor die wichtige Frage stellen: Müssen wir unsere Verantwortung überdenken? Sollten wir in der jetzigen Zeit den Blick schärfen und erweitern, das Bild von der Welt und den Zusammenhängen weiter vervollständigen, und um Alternativen bereichern?

 

Für einen Journalismus der konstruktive Wege aufzeigen will, bedeutet das auf jedem Fall, die gesellschaftlich relevanten Probleme kritisch zu begleiten und sie klar beim Namen zu nennen. Zugleich aber auch zu berichten, wo sie erfolgreich angegangen oder gelöst wurden. Häufiger zu zeigen, wo Menschen, wo Bewegungen oder Initiativen solidarisch sind, gemeinsame Anstrengungen etwas verändert haben.

 

 

 

Die Berichterstattung muss denjenigen Menschen mehr journalistische Aufmerksamkeit schenken, die im klassischen Journalismus nicht gehört oder gesehen werden. Wenn Menschen erkennen, dass andere Menschen etwas bewegen, auch einzelne, kann das zu mehr Aufmerksamkeit und Anteilnahme an der Gesellschaft  führen. Zuletzt wurde das am Beispiel der „friday for future“-Bewegung deutlich. Waren es zunächst Schüler engagieren und bekennen sich inzwischen Wissenschaftler, Wirtschaftsexperten und Politiker zu dieser Ausrichtung.

 

Lösungsorientierte Berichterstattung könnte aber noch etwas Wichtiges bewirken. Er kann jene unter Handlungszwang setzen, die politisch verantwortlich sind. Wie sollen sich Regierende und Verantwortliche mit „alternativlos“ herausreden, wenn doch über die vielen Lösungen, Alternativen und Menschen mit neuen Ideen überall auf der Welt längst berichtet wird.

 

Im ZDF wird mit der Sendung  „plan b“ seit dem 7. Oktober 2017 „lösungsorientiert“ berichtet, inzwischen schon in über  80 Sendungen. Mit jeder einzelnen 30-minütigen Reportage werden den Zuschauern Geschichten präsentiert, die zeigen, was alles geht und Menschen vorgestellt, die auf die ein oder andere Art beweisen oder bewiesen haben: Es geht doch!

 

Dabei wollen wir die Welt keinesfalls rosarot schönfärben, sondern vielmehr den vielen Chancen und Möglichkeiten, die in den Menschen und den Gesellschaften stecken, den roten Teppich ausrollen. Die Geschichten sind da, und es lohnt sich, sie zu erzählen.

Bild oben: Bienenexperte Nikola Kezic ist einer der O-Töne, die in der kommenden Sendung von „plan b“ über „Tierische Helfer“ zu Wort kommen. Er will Bienen zur Suche von Landminen einsetzen. Noch sind die Versuche in der Testphase, aber der Landwirtschaftsprofessor ist zufrieden mit den ersten Ergebnissen.  Foto ZDF/Stefan Spoo.

Autor

Christian Dezer

ist Redaktionsleiter von „plan b“
Christian Dezer ist seit 31 Jahren beim ZDF. Er war u.a. jahrelang Kriegs- und Krisenreporter, Leiter des Auslandsjournals und von Frontal 21. Außerdem leitete er verschiedene Dokumentationsabteilungen. 2011 hat er das investigative Doku-Format „ZDF-zoom“ und zuletzt „plan b“ entwickelt.
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